Studienfahrt auf die Zugspitze

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Schwarz auf gelb prangte „Fahrrad abstellen verboten" auf dem Parkplatz des Ulmer Hauptbahnhofs. Neben dem Schild steht ein weißer Transporter. Jugendliche laden Fahrräder aus. Dazwischen mischen sich Koffer. Taschen werden umgeräumt, Kleidung gewechselt. Auch vor Ort: Ein Polizeiwagen, an dem ein Fahrrad lehnt; aber keine Uniformierten. Sie holen sich einen Kaffee im Bahnhofsgebäude.

Am Vortag hatten wir uns an der Schule getroffen. Neben Frau Eberspächer und Herrn Dautel war ihr Freund Matthias zugegen, der uns mit einem gemieteten Lieferwagen begleiten würde. Wir luden unser Gepäck und unsere Fahrräder ein. Manche hatten auch ihre Eltern mitgebracht. Der Himmel erinnerte an die grau betonierte Decke eines Klassenzimmers. Durch die Wolken fiel das Licht trist auf den Schulhof. Bis auf uns war keine Menschenseele zu sehen. Das Wetter hatte uns einen Vorboten geschickt.

Herr Dautel gab einen wilden Weg mit raschem Wechsel zwischen Bürgersteig und Straße vor. Die Mitte der mehrspurigen Fahrbahn hat ja auch seinen Charme verglichen mit dem Fahrradweg. Bald mussten wir um und durch Absperrungen für ein Großevent navigieren. Plötzlich hörten wir Rufe. Ein Sicherheitsangestellter deutete uns umzukehren. Ohne es zu merken, waren wir auf der Strecke des Radrennens gelandet, das die Stadt Ulm diesen Sonntag veranstaltete. Schade, zu witzig wäre es gewesen, sich auf der Studienfahrt unversehens in einem Radrennen wiederzufinden - ein regelrechter Filmmoment. Stattdessen lotsten uns die Sicherheitskräfte durch die Absperrungen und wir setzten unsere Fahrt fort.

Als wir die Iller erreichten, stieß Matthias, der den Wagen abgestellt hatte, mit seinem Rad zu uns. Breit, aber recht flach floss die Iller hier, kurz bevor sie in Ulm in die Donau mündet – wobei es sich eigentlich umgekehrt verhält. Hydrologisch gesehen stellt die Donau einen Nebenfluss der Iller dar, da die Iller vor Ulm mehr Wasser führt. Flussaufwärts passierten wir eine Reihe an Staudämmen, neben denen aus Schotter mehr oder minder provisorische Fischtreppen aufgeschüttet waren. Auf einer Informationstafel lasen wir, dass die Begradigung sowie die spätere Errichtung von Querbauwerken das Ökosystem der Iller nachhaltig und stark beschädigt hat. Das laufende Projekt agile Iller der Länder Baden-Württemberg und Bayern soll dies nun ändern.


Nach dem wir auf einem Schotterweg – der Graus jedes Fahrradfahrers – in einem großen Kreis gefahren waren, kamen wir endlich bei unserem Mittagessen an. Auf einem kleinen Wanderparkplatz im Wald erwartete uns eine Picknickdecke mit Brot, Käse und Wurst, Obst und Gemüse. Jemand beanstandete den Mangel an Hanutas, die mit ihren wertvollen Haselnüssen eine ausgewogene Ernährung kompletierte. Damit war der Grundstein gelegt, von dem aus sich Hanutas zu unserem Grundnahrungsmittel der kommenden Woche entwickelte. Während sich eine hitzige Diskussion über den Sehenswert der Bibi und Tina Filme entfachte, rissen die Wolken zu unserer Freude auf und wir genossen unsere Speise in strahlendem Sonnenschein.

Nachmittags stand neben einem Regenschauer noch die anstrengendste Etappe des Tages an. Die ca. 100 Höhenmeter Berg wurden mit einer Abfahrt durch hügelige Landschaft und weite Weiden belohnt. In Kempten stiegen wir dann in einem B&B Hotel ab. Zum Abendessen genossen wir, verglichen mit den ungesalzenen Spaghetti und der Fertigtomatensoße, die es die nächsten beiden Tage geben würde, den Luxus einer Pizzeria.

Das Ziel des darauffolgenden Tages lautete Füssen. Wir bezwangen eine lange Bergetappe, an dessen Ende das kleine Dorf Moosbach lag. Von hier oben konnten wir zwischen den Häusern bereits den Rottachsee erspähen; doch fanden wir die Abfahrt ins Tal erst nach viel hin und her. Das Mittagessen gestaltete sich wie das erste, wobei die Sonne mit Wind, aber dafür wunderschöner Aussicht getauscht wurde. Das Hostel in Füssen erreichten wir am späten Nachmittag. Es stellte uns eine Küche zum Kochen besagter Nudeln zur Verfügung. Den Abend ließen wir mit Kartenspielen ausklingen.

In selbiger Küche konnten wir auch unser Frühstück zubereiten. Im Anschluss brachen wir in den morgendlichen Nieselregen auf. Uns gewährte sich eine erstaunliche Atmosphäre. Ruhige, weite Felder, dazwischen kleine Wäldchen paarten sich mit einem Wetter, das einerseits regnerisch und ungemütlich wirkte. Andererseits konnten wir zwischen den Wolken neben blauem Himmel auch die strahlende Sonne erblicken. Dieser magische Anblick wurde durch mehrere Regenbögen vervollständigt. Uns entgegenkommend zog ein Lastwagen eine Regenbogenspur. Von der nassen Straße wirbelte er Tröpfchenwolken auf.

An der Stelle, an der der Schellbach in den Neidernach übergeht, befindet sich ein rudimentärer Grenzübergang. Der Bach fließt durch ein schmales Tal, dass er sich mit einem Wanderweg teilt. Das Tal markiert zugleich die Grenze zwischen Österreich und Deutschland. Der Grenzübergang besteht aus einer hölzernen Fußgängerbrücke und einer Schranke an einer flachen Stelle des Bachs. Mitten in der Natur machten wir hier eine putzige Begegnung mit einem Bagger. Dieser verbreiterte gerade den Wanderweg. An sich nichts Besonderes, jedoch hatten wir ihn weit entfernt jeglicher befestigten Straße nicht erwartet und fragten uns zudem, wie er dort hingekommen ist.


Um 16:00 Uhr erreichten wir Garmisch-Partenkirchen und damit das Ende der Fahrradtour. In einem Sporthotel wurden wir in kleine Ferienwohnungen mit mehreren Räumen einquartiert. Diese verfügten sogar über einen kleinen Herd und einen Kühlschrank. Die Mini-Einbauküche war jedoch in einem Wandschrank eingeschlossen, der erst gegen eine Gebühr von 20 € von der Rezeption geöffnet wurde. Nach dem Abendessen wurde, bevor wir unsere Rucksäcke für die Besteigung der Zugspitze packten, eine Krisensitzung einberufen. Die letzten Tage war es auch auf der Zugspitze sehr kalt und regnerisch gewesen. Über der Schneegrenze hatte es den Wanderweg zugeschneit. In Folge war das Risiko auf einem schneebedeckten Geröllfeld abzurutschen und in die Tiefe zu stürzen zu hoch. Wir standen derweil in der Schwebe; Hütte und Touristeninformation im Tal verlauteten verschiedene Informationen über die Begehbarkeit der Wanderwege. Der Erfolg unserer Studienfahrt stand in Gefahr.

Früh aufstehen, schnell frühstücken, Zimmer räumen, Bus zum Busbahnhof nehmen. Am Mittwochmorgen standen wir unter Zeitdruck. Ein Reisebus brachte uns zu einer Almbahn in einem Nachbarort. Draußen regnete es. Die Außentemperatur betrug 7 ºC. Wir hatten uns entschieden, wie geplant auf die Knorrhütte zu wandern, jedoch den Weg mithilfe der Almbahn zu verkürzen. Auf der Knorrhütte wollten wir dann weitersehen, ob der Weg zum Gipfel im Rahmen unserer Fähigkeiten liegt.

An der Almbahn angekommen ereilte uns die nächste Überraschung. Die Verkäuferin der Liftfahrkarten, erklärte den Aufstieg für unmöglich. Oben sei über Nacht ein Schneegestöber aufgezogen. Für eine Schulklasse sei der Weg zu gefährlich. Ein harter Rückschlag. Die Enttäuschung stand uns auf das Gesicht geschrieben – die Verzweiflung nicht mehr weit entfernt. Bereits die zweite Krisensitzung innerhalb von 12 Stunden wurde abgehalten. Mitten auf dem Parkplatz des Seilbahngebäudes beratschlagten wir, ob wir stattdessen einen anderen (kleineren) Berg besteigen oder die verbleibenden Tage nutzen, um an Stelle des Zugs mit dem Rad nach Esslingen zurückzufahren. Wir wären alle sehr gerne auf die Zugspitze gewandert. Zum Glück kamen die Lehrer mit einem Ersatzplan zu unserer Rettung

Wir würden zur Reintalangerhütte, die ursprünglich nur auf dem Rückweg eingeplant war, wandern und dort zwei Nächte verbringen. Getröstet buckelten wir unsere Rucksäcke und nahmen den Bus, der uns hergebracht und anschließend eine Pause gemacht hatte, wieder zurück zum Bahnhof des Örtchens. Der Reisebus hatte uns bei der Hinfahrt dort abgesetzt und wir waren in einen normalen Linienbus umgestiegen. Nun fuhr die Regionalbahn zeitgleich mit dem Bus in den Bahnhof ein. Schnell hechteten wir zum Steig und in den Zug. Problematischer Weise hatten wir dadurch keine Zeit Fahrkarten zu kaufen. Die Türen schlossen sich und der Schaffner betrat den Wagon.

Als er unsere Tickets kontrollieren wollte, verwiesen wir ihn an unsere Lehrer. Herr Dautel begann ihm sofort die lange Geschichte zu erzählen, wie wir in dieser Bahn ohne Ticket gelandet waren. Der Schaffner nickte ab und ließ uns gewähren. Der Zug mit seinen Bedarfshalten brachte uns zurück nach Garmisch. Dort begannen wir um 13 Uhr endlich unsere Wanderung.

Wie auch dieser beginnt ein Wandertag gewöhnlich mit frühem Aufstehen, zügigem Frühstück und zusammenpacken. Dann wird bis zum Abend gewandert – nachmittags durchquerten wir eine Wolkenschicht. Rast an Aussichtspunkten und eine Vesper zu Mittag gehören auch dazu. Abends erreicht man die Hütte respektive Unterkunft. Umgehend begibt man sich in den Trockenraum und entledigt sich der verschwitzten Kleidung, Jacken, Schuhe sowie anderer feuchter Sachen. Eine Dusche schließt sich an. Da Hütten selten an die sanitäre Infrastruktur angeschlossen sind, muss man für warmes Duschwasser häufig Geld einwerfen. Auf der Hütte wird einem anschließend ein warmes Abendessen serviert. Um 22 Uhr gilt die Bettruhe. Die ist deswegen relevant, weil man sich meist ein Matratzenlager mit anderen Wanderern teilt. Außerdem sind die Wände sehr dünn. Auf der Reintalangerhütte hatten wir das Glück als Gruppe einen ganzen Raum zu belegen, indem wir dann unter uns waren. Viel Platz hatte es aber nicht und wir mussten unsere Taschen auf dem Gang auspacken.

Die Reintalangerhütte verfügt über 137 Schlafplätze, darunter auch Mehrbettzimmer mit zwei bis vier richtigen Stockbetten. Sie wurde 1912/13 neben die deutlich kleinere „Flohhütte" gebaut. Nun ist die Neue Angerhütte denkmalgeschützt. Sie bietet ausschließlich Biospeisen an, die aber anders als beim Alnatura ausgezeichnet schmecken. Besonders das Frühstücksbuffet begeisterte uns trotz seiner Schlichtheit sehr.

Am nächsten Morgen brachen wir auf, um zur höhergelegenen Knorrhütte zu wandern. Wir hatten die Auskunft erhalten, dass der Weg zu schaffen sei. Draußen war es kalt, doch die sportliche Betätigung erwärmte unsere Körper. Schon bald entledigten wir uns der vielen Kleidungsschichten, die wir angezogen hatten und wanderten in T-Shirt durch den Nebel. Der Wanderweg schlängelte sich über Felsen und kleinen Kletterpartien den Berg hinauf. Ein paar Schüler:innen nutzen die vom Regenwasser gegrabenen Rinnen als abenteuerliche Abkürzungen, die sich zwar als steiler aber bei ausreichender Fitness schneller herausstellten. Mit dem Überschreiten der Schneegrenze, wurde der Nebel dichter, der Weg felsiger. Die Felsen boten weniger Halt und die dünne Schneeschicht wurde unter unseren Füßen zu glitschigem Matsch. Beim Blick hinab wurde uns mulmig, obwohl – oder gerade weil – wir keine drei Meter weit sehen konnten. Wir realisierten, dass wir denselben Weg auch wieder herabsteigen würden müssen. Bergab ist die Ausrutschgefahr bekanntlich deutlich größer, insbesondere in Kombination mit einem solch steilen Hang, bei dem zwischen Klettern und Wandern nur schwer unterschieden werden kann. Erleichtert erreichten wir die Knorrhütte und belohnten uns mit einer Portion Kaiserschmarrn als Mittagessen.


Gestärkt verlief der Rückweg ohne Probleme; gegen 4 Uhr gelangten wir an der Reintalangerhütte an. Den restlichen Tag ließen wir mit Gesellschaftsspielen ausklingen. In der Spielesammlung der Hütte entdeckten wir Malefiz, bei dem wir ungeachtet etwaiger Regeln Teams bildeten, die die Spannung und den Spaß deutlich erhöhten. Ein Team bestimmte mit Hilfe von Spieltheorie, die selbst Herrn Dautel zu kompliziert wurde, den besten Zug in gegebener Spielsituation und sicherte sich so den Sieg.

Am Freitag ging es über die Partnachklamm zurück ins Tal. Durch die schmale höhlenartige Schlucht fließt ein reißender Bach – eine sehenswürdige Route. Um 14 Uhr nahmen wir dann die Bahn zurück nach Esslingen, während Matthias unser Gepäck mit dem Wagen transportierte. In Pfronten blieb der Zug stehen. Wir mussten in einen Schienenersatzverkehr umsteigen. In Kempten blieben wir wenige Minuten vor dem Bahnhof im Stau stecken. Vor einer Tankstelle hatten sich eine lange Autoschlange gebildet. Denn die Tankstelle bot einen verhältnismäßig niedrigen Dieselpreis von 1,769 € an. Worüber sich die Autofahrer freuen konnten, war für uns ein Ärgernis. Der Anschlusszug würde nicht auf uns warten. Langsam tickte die rote Digitaluhr des Busses, langsam aber unaufhaltsam der Abfahrtszeit entgegen. Schließlich waren wir an der Tankstelle vorbei. Der Busfahrer drückte auf das Gaspedal und beschleunigte innerorts auf achtzig Stundenkilometer. Vor uns schaltete die Ampel auf Rot. Der Busfahrer aber überwand schnell die Kreuzung und fuhr bis an das Bahnhofsgebäude vor, anstelle an seiner Haltestelle zu halten. Im selben Moment sahen wir den Zug in den Bahnhof einlaufen. Wir sprangen aus dem Bus; rannten in das Bahnhofsgebäude, die Treppe hoch zum Gleis und schafften es gerade noch einen Fuß in die sich schließende Tür zu halten. Ohne die Nettigkeit des Busfahrers wäre das nicht möglich gewesen.

Damit neigte sich unsere Studienfahrt ihrem Ende zu. Gegen 21 Uhr kamen wir in Esslingen an. Auf dem Schulhof nahmen wir unser Gepäck entgegen und verabschiedeten uns ausführlich. Obwohl bei der Fahrradtour Stürze nicht ausblieben und regelmäßig Ketten aus der Schaltung sprangen, hatten wir keine Verletzte zu verzeichnen. Zu verzeichnen hatten wir Spaß und tolle Gemeinschaftserlebnisse, eine einmalige Wandererfahrung und eine Fahrradtour, die wir so in einer Gruppe vermutlich nie wieder erleben werden.







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