Am Beispiel zweier Studierender – Matti Hohl als schüchterner Religionswissenschaftler Adam, Sophie Wilczewska als temperamentvolle Kunststudentin Eva – zeigt das Ensemble unter Leitung von Alessandro Varacalli und Michael Fetzer, wie der Zwang zur oberflächlichen Selbstverbesserung in innerer Selbstaufgabe enden kann.
Doch der Reihe nach: Als Eva und Adam sich im Museum begegnen, ist die Rollenverteilung klar: Eva überschreitet Grenzen, in diesem Fall die Absperrung zu einer Skulptur, die sie (die Letzte Generation lässt grüßen) auch noch besprüht. Adam soll ihr als Aufseher Grenzen setzen, ist aber auch in dieser Rolle unsicher. Über Frisurentipps Evas, die Adam sogleich befolgt, kommt man sich näher – die erste Kussszene, wie die folgenden von der Regie humorvoll hinter einem Kussmund auf Pressspan versteckt, ist die Folge.
Das Pärchentreffen mit Jenny (beeindruckend sicher: Viktoria Karbusheva) und Adams bestem Freund Philipp (schneidig-charmant: Gianpaolo Schnabel), die kurz vor einer Unterwasser-Hochzeit stehen, endet mit einer ersten Missstimmung zwischen dem Brautpaar über den Vorfall im Museum, den Eva verteidigt, Philipp aber verurteilt. Eine erste Rollenumbesetzung signalisiert Adams Oberflächenveränderung: Bianca Roberts gibt einen deutlich selbstbewussteren Adam, der sich nicht nur mit Eva ins Bett traut, sondern auch noch Jenny küsst, nachdem diese sich bei ihm über ihren künftigen Ehemann ausgeheult hat.
Doch Adam ist Eva noch immer nicht perfekt genug. „Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe [Adams]", heißt es im 1. Buch Mose. In Abwandlung der biblischen Urerzählung schnitzt sich Eva ihren idealen Adam weiter zurecht. Eine Nasen-OP sei schon noch notwendig und auch schnell erledigt, zerstreut sie seine Zweifel im Wartezimmer des Schönheitschirurgen. Nach diesem weiteren Oberflächeneingriff wird Adam von Ioannis Hailas verkörpert, der seinem Freund Philipp den tieferen Grund für das Pflaster auf seiner Nase aber nicht verraten will. Nicht der einzige Grund für dessen Misstrauen, hat ihm doch Jenny den Seitensprung bereits gebeichtet. Und so führen Adams unglaubwürdige Beschwichtigungen zu einer veritablen Schlägerei, die von Gianpaolo und Ioannis bemerkenswert dynamisch ausgeführt wird.
Zeit für ein Gespräch unter Frauen. Eva schwärmt von ihrem „großen Ding", der Skulptur, die sie bald vorstellen wird, und beim Reden über ihre Männer fällt Viktoria ein, dass sie an Philipp doch auch mindestens „sechs Kleinigkeiten" stören. „Ja, der Rahmen war schon fertig / Und der Rahmen war nicht schlecht / Jetzt muss nur noch der Mensch reinpassen / Und den biegen wir uns schon zurecht", sang Udo Lindenberg schon 1982 über den Dressurtrieb als Beziehungsgift.
Doch auf die Spitze getrieben wird die manipulative Demontage der Identität des Gegenübers von Eva, als ihre große Stunde gekommen ist und sie ihre menschliche Skulptur präsentiert, an der sie die „systematische Generalüberholung" Adams demonstriert, für die sie Kunstfreiheit in Anspruch nimmt wie die Influencer Presse- und Gewerbefreiheit. „Kritische Theorie und Praxis" wolle sie studieren, sagte Eva eingangs; dass sie das Gegenteil betreibt, begreifen spätestens jetzt die drei anderen. Angewidert und wütend verlassen sie Evas Vernissage, die zu einer Machtdemonstration geraten ist. Oder wollte sie ihnen nur die Augen öffnen? Ihr Schlusssatz legt diese Deutung nahe: „Es lebe die Diskussion!"
Das hehre Ziel der Klassiker, die Selbstvervollkommnung des Menschen, wird heute als marktförmige Selbstoptimierung im Konkurrenzmodus zuschanden. Dass die AG-Mitglieder bei der Erarbeitung, Erprobung und Aufführung ihres Stücks aber durchaus der Selbstvervollkommnung nähergekommen sind (und damit eine echte Bildungserfahrung gemacht haben), zeigte sich in der anschließenden Fragerunde, in der sie als wichtigste Erfahrung das Einbringen eigener Ideen nannten, die dann auch umgesetzt wurden. Eine Erfahrung, die man wohl nirgendwo besser machen kann als beim Theaterspielen.
„Ich bin sprachlos." Mit diesen ehrlichen Worten und sichtlich gerührt würdigte Schulleiterin Gerda Eller die beeindruckende Leistung des Theater-AG-Ensembles. Alle sechs Beteiligten überzeugten mit großer Spielfreude, Textsicherheit und einer erstaunlichen Bühnenpräsenz. Dass Viktoria Karbusheva erst vor zwei Jahren von der Ukraine nach Deutschland gekommen ist, ließ die begeisterten Gäste besonders heftig applaudieren. „Die AG hat mein Leben verändert", sagt sie am Ende, und man glaubt es ihr sofort.
har